Stell dir vor: Du bist erwachsen und hast dein eigenes kleines Unternehmen. Du arbeitest mit Firmen auf der anderen Seite der Grenze zusammen. Nach einem guten Deal schließt ihr ihn ab mit Schnaps und ‚stroopwafels‘ und du gehst mit einem guten Gefühl nach Hause. Man lernt viel von seinen Nachbarn und sie lernen auch viel von dir. Die Zusammenarbeit ist großartig und die Firma floriert. Dann bricht der Krieg aus und ist alles anders....
Stell dir vor: Du bist schon etwas älter. Du brauchst nicht mehr zu arbeiten, und genießt die viele Freizeit, die du mit deiner Familie, deinen Freunden und Bekannten verbringen kannst. Am liebsten gehst du mit deiner/m besten Freund/in raus. Wandern und Radfahren sind eure Hobbys. Eure Freundschaft ist seit mindestens 50 Jahren sehr eng, und du wüsstest nicht, wie es ohne ihn/sie wäre. Dann bricht der Krieg aus und ist alles anders....
Der Krieg führt dazu, dass die Grenze, die eigentlich physisch nicht existierte, plötzlich 3 Meter hoch ist. Kinder können nicht mehr mit ihren Freunden auf der anderen Seite der Grenze spielen. Teenager verlieren ihre erste große Liebe. Unternehmer sind gezwungen, sich von ihren Geschäftspartnern zu verabschieden, und die Senioren bleiben mit gebrochenem Herzen hinter den Geranien zurück. Warum? Warum muss man plötzlich seine Nächsten hassen, verraten oder sogar töten?
Alle jungen Männer ab 18 Jahren sind aufgerufen, sich zu melden, damit sie "wichtige Arbeit" leisten. Was sie tun sollen, wissen sie nicht. Die meisten von ihnen melden sich, aber einige tauchen unter. Sie verstecken sich im Wald, in Kellern, Schränken und Krabbelräumen, auf Dachböden und tun alles, um nicht erwischt zu werden. Die Bewohner, die ihnen helfen, sind dadurch einem hohen Risiko ausgesetzt und müssen sich vor Passanten, Soldaten, aber auch vor Familie, Freunden und Nachbarn in Acht nehmen. Auch sie dürfen es nicht wissen, denn niemandem kann man mehr trauen.
Dann gibt es ein neues Gesetz, das besagt, dass Juden keine Bürgerrechte mehr haben und dass Nichtjuden nicht mehr mit Juden umgehen dürfen. "Aber mein bester Freund / Nachbar / Geschäftspartner / Ehefrau / Ehemann ist Jude.... Muss ich mich jetzt verabschieden? Was soll ich tun? Was passiert mit mir, wenn ich weiterhin mit der Person in Verbindung bleibe?“ Plötzlich stehst du vor schwierigen Entscheidungen und schon ein paar Tage später fragst du dich, wo die nette jüdische Familie aus dem Eckhaus geblieben ist….
Was musst du tun, wenn du nach den Idealen eines anderen handeln musst? Was solltest du tun, wenn jemand diesen Idealen folgt und du sie völlig anders siehst? Könntest du noch mit jemandem umgehen, der mit dieser Ideologie lebt und sie bei anderen propagiert? Könntest du es ertragen, wenn diese Person, die du kennst, plötzlich mitmacht, wenn sie die jüdischen Nachbarn aus ihrem Haus holen? Mischst du dich dann da ein, um die Nachbarn zu schützen?
Diese Entscheidungen waren zu jener Zeit fast unmenschlich. Wenn du ihnen nicht folgst, bist du ein Verräter und musst gehen. Hast du die falsche Nationalität, bist du „dreckig" und musst gehen. Versuchst du deinen Mitmenschen zu helfen, indem du Sie heimlich versteckst, bist du „eine schlechte Person“ und musst gehen. Es gibt viele Beispiele für die damalige Denkweise.
Die Kriegsjahre sind hart und unbarmherzig, und jeder versucht, das Beste daraus zu machen. Es tauchen Fragen auf wie: „Kann ich ihn/ihr noch vertrauen? „Wo geht er/sie hin?" „Mit wem spricht er/sie?" „Warum kann ich nicht mehr zu ihn/ihr gehen?" Die Menschen versuchen zu überleben, und einige helfen sogar anderen, zu überleben. Man ist immer auf der Hut und schaut oft über die Schulter, wenn man irgendwo hingeht. Kinder sind auf einem Schlag erwachsen. Das Leben ist trostlos geworden... ein Kampf ums Dasein.
Nach den Kriegsjahren soll der Frieden dafür sorgen, dass Nachbarn sich wieder grüßen können, dass Kinder wieder miteinander spielen können, dass andere Nationalitäten wieder willkommen sind. In der Theorie klingt es schön, in der Praxis war es anders. Die Menschen schauten die Nachbarn immer noch misstrauisch an, Kinder durften nur in der Straße vor dem Haus spielen und andere Nationalitäten wurden noch nicht akzeptiert. Die Wunden waren noch viele Jahre nach dem Krieg tief und schmerzhaft. Trotz der Tatsache, dass es die Grenze nicht mehr gab, existierte sie in den Köpfen vieler Menschen weiter. Es gibt viele Menschen, die nie wieder einen Fuß über die Grenze gesetzt haben oder Kontakt zu Freunden, Bekannten oder Liebsten auf der anderen Seite der Grenze hatten. Die Entscheidungen von damals waren zu schwer und das Leben wurde in diesen wenigen Jahren völlig auf den Kopf gestellt. In die Zeit davor zurückzukehren war unmöglich.
Heutzutage versucht man alles, diese Zeit niemals wiederkommen zu lassen. Vor allem die alte Generation, die diese Zeit erlebt hat, fürchtet sich davor. Die Kinder dieser Generation haben auch Angst, weil sie mit den oft schrecklichen Geschichten ihrer Eltern aufgewachsen sind. Die Enkelkinder erfahren nur Fragmente aus der Vergangenheit. Denen stellt sich die Frage:
“Was nun….?”